Fründliche Scherereien


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Der Moorchor

Es war einmal ein Chor. Der sang im Moor. Der Moorchor.

Am liebsten sang er am Morgen im Moor. Darum nannte man ihn auch den Morgenmoorchor.

Es gab dort auch ein Tor. Durch das schritt der Chor, das sogenannte Morgenmoorchortor. Das qietschte ein wenig und ging schwer ins Ohr von dem Morgenmoorchor.

Drum wandte sich der Morgenmoorchor wegen des Qietschens vom Morgenmoorchortor und den Schmerzen im Morgenmoorchorohr an die liebliche Hexe im Moor. Die wusste fast immer einen Rat und fragte am Morgen den Morgenmoorchor nach den Schmerzen im Morgenmoorchorohr. Der Morgenmoorchor klagte:“Es tut so weh im Morgenmoorchorohr!“

„Du lieber Morgenmoorchor!“ sagte die Hexe im Moor,“ tut es weh beim Singen oder beim Summen? Oder beim Klingen oder beim Brummen?“ Doch der Morgenmoorchor hörte wegen der Schmerzen im Morgenmoorchorohr durch das Morgenmoorchortor schon gar nicht mehr richtig zu.

Da wanderte die Hexe im Moor vor dem Morgenmoorchor her ins Morgenmoor und holte dort Kräuter für einen Morgenmoorchortorohrschmerztee,

damit der Morgenmoorchorohrschmerz vom Morgenmoorchortor rasch vergeh.

Sodann mischte sie den Tee mit Kräutern vom See. Vom Kräutersee.

Die wuchsen im Moor am besten am Morgen im See. So holte sie die Kräuter aus dem Morgenmoorkräutersee. Sie tunkte in den Morgenmoorkräuterseetee noch ein wenig Klee, den Morgenmoorkräuterseeteeklee.

Und als der Morgenmoorchor von dem Morgenmoorkräuterseetee mit Morgenmoorkräuterseeklee getrunken hatte, verging dem Morgenmoorchor der Schmerz im Morgenmoorchorohr. Und dann sang der Morgenmoorchor im Mogenmoor den Fröschen am Morgen was vor.

(copyrigt Tanja Fründ 16.05.2024)


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Höher, schneller, weiter

Es geht uns gut in Deutschland. Das geht mir immer wieder durch den Kopf. Es geht vielen schlecht in Deutschland. Auch das geht mir immer wieder durch den Kopf. Wie kann das sein, dass sich auf einer kleinen Insel wie Sylt der Reichtum in Ferienhäusern manifestiert, die kaum je einer bewohnt. Reichtum, der die Einheimischen aufs Festland treibt, weil sie sich ihre Heimat selbst nicht mehr leisten können. Wie kann es sein, dass auf der anderen Seite Menschen an den Tafeln Schlange stehen, weil ihr Einkommen für einen vollwertigen Einkauf nicht reicht? Unweigerlich fang ich an, mein eigenes Leben zu betrachten. Bin ich reich oder bin ich schon arm? Besserverdienend oder geht so? Vielleicht liegt es am Alter – zur Zeit wird es im Umfeld sehr wichtig, aufzuzählen, was man hat – was die Kinder können, wie man wohnt – und trotzdem darüber zu stöhnen, dass ja alles so teuer sein. Still sitze ich daneben und frage mich, warum das so wichtig ist, beobachte wie der Neid und die Angst nicht mithalten zu können, die Menschen auseinandertreibt. Wieviel Verletzungen es auslöst, wenn mit Hilfe von Geld Liebe verteilt wird.

Das ist kein neues Problem. Schon in der Bibel lesen wir von diesen Konflikten. Vom jüngsten Sohn, der sich sein Erbe auszahlen lässt und reumütig nach Hause zurückkehrt und dem ältesten, der es nicht fassen kann, dass der „Lebemann“ ohne Leistung wieder aufgenommen wird. Dabei ist unser Geldsystem längst an seine Grenzen gekommen.

Abends nach Sonnenuntergang spuckt die Dunkelheit Menschen aus, die verschämt mit ihren Tragetaschen erst zum Mülleimer und dann zum Edeka um die Ecken marschieren. Vor meinem vollen Einkaufswagen stellen sie eine Flasche Hochprozentiges auf das Band vielleicht noch ein paar Weintrauben und eine Packung Pfefferminzbonbons dazu. Für Zigaretten reicht es schon nicht mehr. Da geht es nicht darum, ob jemand vegetarisch, vegan oder frutarisch ist. Da geht es darum, ob er überhaupt ißt. Und dann lese ich in der  Zeitung eine Kolumne, dass man sich doch bitte den Montag schönlächeln sollte. Dann ginge es einem besser. Nach dem Motto: Ist das Brot halb leer oder reicht es – Halleluja – noch für den Rest der Woche….dann ist es also halbvoll?

Was ist unsere gesellschaftliche Motivation? Ich erlebe viel politischen Aktionismus, hier eine Randnotiz, dort ein Gesetzchen, dass wieder irgendeine Lobbygruppe für kurze Zeit beruhigt, aber ein wirkliches Ziel ist nicht erkennbar. Ist kompliziert – doch was für eine Gesellschaft wollen wir? Die Technik wird voranschreiten. Ob sie ein Schreckgespenst ist oder wir lernen werden, mit ihr umzugehen und sie uns zu Diensten machen, anstatt ihre Diener zu sein, liegt an uns – sie nutzen, dort wo sie unser Leben bereichert und sinnvoll eingesetzt werden kann und dort verweigern, wo Menschlichkeit und Wärme vonnöten sind. Was hindert uns, unsere Einkäufe weiterhin vor Ort zu machen und sich nicht Pakete nach Hause schicken zu lassen? Einzig unsere Bequemlichkeit. Bringen wir unseren Kindern wieder bei, richtige Gespräche zu führen, dann werden sie das Handy nicht mehr allein als Kommunikationsmittel benutzen.

Kürzlich sah ich bei Mac Donald eine Frau mit zwei Kindern. Mit vollen Tabletts saßen die Minis nebeneinander an der Theke, starrten auf die Bildschirme mit schrillen Comicfiguren, die in Kopfhöhe für sie angebracht waren, während Mama hinter ihnen am Tisch mit ihrem Handy sozusagen ein Fleisch wurde. Es gab überhaupt keine Notwendigkeit für sie, sich um den Nachwuchs zu kümmern. Den beiden Jungs hätte man die Essensportion wegnehmen können, sie hätten es vermutlich nicht bemerkt. Und hierbei handelte es sich nicht um eine Familie mit schlechter Kleidung. Makellos gestylt waren sie alle.

Aber vielleicht tue ich der Frau Unrecht und sie war einfach eine grenzenlos erschöpfte, alleinerziehende Pafümerieverkäuferin, die ihre Kinder nach einem anstrengenden 8-10 Stunden-Tag mit anspruchsvollen Kunden aus der Kita abgeholt hat. Vielleicht nutzte sie einfach nur die 10 Minuten, die ihr gewährt wurden, um wichtige Arzttermine abzugleichen oder kurz Kontakt zu halten mit Freunden, bevor sie dann ins abendliche Chaos ihrer Zweizimmer-Wohnung zurückkehrte. Was wissen wir schon von den Menschen um uns herum?

Sich damit zu beschäftigen, was tatsächlich ist anstatt einfachen (aber zugegeben lebendigen lauten) Parolen zu glauben, ist anstrengend. „Postfaktisch“ war das Wort des Jahres 2016. (Erklärung erfolgt unten). „Mister Postfaktisch Number One“ tritt ja im November wieder in den USA zur Präsidentenwahl an. Man darf gespannt aber nicht allzu unrealistisch sein. Die Angewohnheit, nur das zu glauben und zu propagieren, was einem selber nützt, ist längst auch bei uns gesellschaftsfähig geworden.

Die breite Masse wird es nicht interessieren.  Sie wird sich mit einer Tasse Kaffee oder Tee vor den hoffentlich vorhandenen warmen Ofen setzen und sich weiterhin ungerecht behandelt fühlen. Um sie herum wird eine noch breiter werdende Masse an Menschen auf der Straße leben oder mit traumatischen Kriegserlebnissen die hinterletzten Klotten anziehen, die sie selbst zu Hungerlöhnen für uns genäht haben und die wir Ihnen nun großzügig wieder zur Verfügung stellen. Wir leben in einer widersprüchlichen Gesellschaft, die es verlernt hat, über ihren eigenen Tellerrand zu sehen und Maß zu halten. Und doch möchte ich die Hoffnung nicht aufgeben, denn immer wieder sehe ich Menschen, die ihre Komfortzone verlassen und anderen helfen. Ich sehe junge Menschen, die ihr Leben jenseits von umfassenden Wohlstand ernst nehmen und Gesellschaft gestalten wollen. Und das stimmt mich froh.

*Als postfaktische Politik wird ein politisches Denken und Handeln bezeichnet, für das Fakten irrelevant sind. Der emotionale Effekt einer Aussage vor allem auf die eigene Zielgruppe gilt dabei als wichtiger als ihr Wahrheitsgehalt.


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Noch einmal ein dunkles Kapitel

Caen – der zweite Besuch dieser vielseitigen spannenden Stadt

Nach unserem ersten Besuch in Caen, den wir eher oberflächlich durch die Stadt spazierend absolvierten, wagen wir uns zum letzten Mal an das dunkle Kapitel zweiter Weltkrieg und was dieser in der Normandie angerichtet hat.

In Caen gibt es ein großes Museum zu diesem Thema, dessen Besuch ich allen Touristen in dieser Region sehr ans Herz legen möchte. Eines möchte ich an dieser Stelle vorweg sagen: Es ist beeindruckend, es nimmt einen seelisch mit und es ist unbedingt nötig, die Eindrücke, die man dort gewinnt, für sich zu verarbeiten, aber auch nicht zu vergessen. Denn selten habe ich ein so gut aufbereitetes und architektonisch untermauerndes Museum zu diesem Thema besucht.

Beeindruckt hat mich vor allem, wie differenziert die Geschichte der deutschen Besatzung und die Rolle des Vichy-Regimes aufgearbeitet wird, welches maßgeblich die Ausbreitung der Nationalsozialisten in Frankreichs Norden mit unterstützt hat. Gehört hatte ich das alles schon einmal irgendwann. Aber es in einem Land, das von den Nazis starkt gebeutelt wurde, so objektiv dargestellt zu sehen, hat mich tief berührt. In diesem Museum verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse und der Weg in die Kollaboration auch durch gezielte und gut durchdachte Propaganda wird sichtbar. Wenn diese geschichtlich grausame Zeit so detailliert aufbereitet werden kann, dann ist und bleibt der Weg zur Erhaltung des Friedens offen.

Nun nehme ich Euch mit in das Memorial in Caen:

Wir betreten eine große Halle im Inneren, in der es an der Kasse vorbei in einer Spirale mit großen Leinwänden abwärts geht ins Untergeschoss. Hier wird anschaulich geschildert, wie es zur Machtergreifung durch Hitler kam. Architektonisch wird so auch gleichzeitig untermalt, wie es zu dieser Zeit in ganz Europa bergab ging. Das ist sehr beeindruckend, denn im Kellergeschoss führt der Rundgang den Besucher sofort in die dunkle Zeit hinein.

Die Geschichte des zweiten Weltkriegs wird hier nicht nur aus französischer Sicht geschildert, sondern auch aus der Sicht der beteiligten europäischen Staaten, die, obwohl sie von Hitler in den Krieg hineingezogen wurden, schon auch ihre eigenen militärischen und politischen Interessen abzuwägen wussten. Es herrschte eine europäische Instabilität, die Hitlers Vorhaben sehr begünstigt hat. Erschreckend sind für mich die Auswirkungen von Propaganda, die dem gemeinen Volk die jeweils landespolitische Sichtweise darlegte. Während ich mir die Plakate der Nazis im Gegensatz zu den Plakaten der etablierten Volksparteien in Deutschland damals ansehe, merke ich, wie einfach und effektiv die Lösungen waren, die die Nazis den Menschen scheinbar anboten. Schon bei der Gestaltung wurde Wert darauf gelegt, den Fokus zentriert auf Hitler zu legen. Während die Sozialdemokraten ihre Plakate mit Text überfrachteten, verzichteten die Nationalsozialisten an dieser Stelle auf jeden Pomp. So waren es einfache Botschaften, die beim Volk gut ankamen, weil sie alles versprachen ohne auf wirkliche Lösungen einzugehen.

Hatten die Menschen damals zunächst eine Chance zu ahnen, was das auf sie zurollte? Einige wenige sicher, aber die meisten wohl eher nicht. Damals wie heute gehört es dazu, sich eingehend zu informieren, um sich eine Meinung bilden zu können und Folgen für die Zukunft daraus ableiten zu können. Ich glaube kaum, dass den einfachen Menschen genug Zeit blieb, so differenziert zu recherchieren wie wir das heute können und dann auch noch darüber nachzudenken.

Umso erschreckender ist es, dass viele in unserer Gesellschaft auch heute trotz ausreichender Informationsmöglichkeiten, diese Mühe nicht aufwenden, lieber die Augen schließen und denen glauben, die Antworten auf Probleme mit kurzen Parolen möglichst laut herausbrüllen. Ist es Faulheit beim Denken? Ist es die Möglichkeit für hilflose und benachteiligte Menschen, auch einmal auf der Seite der scheinbaren Sieger zu stehen, wenn man einer die Demokratie zerstörenden Partei glaubt, nur weil sie behauptet auf der Seite der kleinen Leute zu stehen? Mich schüttelt es.

Denn wieder haben wir eine instabile Weltgemengelage, die demokratische Werte und die damit verbundene Arbeit gering schätzt und statt auf Lösungen auf Krawall und Vernichtung setzten möchte. Wenn Toleranz Mühe macht, um eine Gesellschaft zu ermöglichen, in der Vielfalt und Toleranz es jedem! noch so kruden Ego ermöglichen einen Raum für sich zu finden, sofern er niemandem damit Schaden zufügt, ist das wohl für manche Menschen höhere Mathematik.

Wenn es gesellschaftsfähig wird, wieder Ländergrenzen zu verschieben und es in den Köpfen wieder höherwertige und niederwertige Menschen gibt…dann empfehle ich den Besuch des Memorial in Caen.

Die Abwärtsspirale bringt uns direkt in den Keller, sinnbildlich dargestellt in die dunkle Zeit. Wir lesen viel und werden erschlagen von furchtbaren Geschichten und mutigen Widerständlern. Wir lernen wie nach und nach der Terror um sich greift und ganz Europa vereinnahmt. Das Undenkbare wird gesellschaftsfähig, die Gewalt und Unterdrückung selbstverständlich. Übrigens nicht nur in Deutschland und auch nicht nur durch Deutsche. Auch in anderen europäischen Ländern ist die rechte Idee und die Diktatur an der Tagesordnung.

Überhaupt Propaganda:

Ich sehe auf einer großen Leinwand eine amerikanische Satiresendung und kleine Clips aus dieser Zeit, die sich über Hitler lustig machen. Mit einem kleinen Kloß im Hals denke ich auch noch einmal über die Satire an sich nach, wie weit sie gehen darf, wann sie nützt, wann sie schadet, wann sie verharmlost, wer sie versteht und dass sie auf keinen Fall verboten gehört, weil sie sich an Dinge heranwagen darf, die man nur in der Übertreibung überhaupt aushält.

Wir wandern durch die Kriegsjahre und sind schnell müde von den Eindrücken, die sich uns darbieten. Am Ende der Zeit haben wir 3 Stunden Weltkrieg hinter uns und sehen uns als letztes noch einmal einen Film über die Landung der Alliierten an den Stränden der Normandie an. Und auch hier wird wenig beschönigt, die Befreiung war ein Kraftakt und hat viele Opfer gekostet. Dass unsere Länder nach dieser Zeit überhaupt noch in Frieden miteinander leben können, grenzt tatsächlich an ein Wunder und ist sicher auch der Tatsache geschuldet, dass auch in Frankreich objektiv mit der eigenen Beteiligung an den Ereignissen umgegangen wurde. Zumindest wird es im Memorial so aufgearbeitet und ich möchte den Erbauern und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieses Museums meinen Dank für so ein ambitioniertes Projekt an dieser Stelle aussprechen.

Wir atmen auf, als wir wieder in die große Eingangshalle treten. Dabei stellen wir fest, dass es noch einen ebenso großen Komplex gibt, in dem die Nachkriegsgeschichte dargestellt wird. Doch für heute haben wir genug. Da wir einen zweiten Besuch in der Normandie planen, muss die Nachkriegsgeschichte bis dahin warten.

Berührt und auch ein bißchen erschöpft beschließen wir die Sonne draußen noch ein bißchen zu genießen und machen einen Abstecher in einen wunderschönen Park, der nicht weit vom Memorial entfernt liegt.

Auf dem Rückweg zum Parkplatz fotografieren wir noch einmal das Museum und eine große Pistole, die alles zusammenfasst, was wir nach unserem Besuch empfinden: Nie wieder Krieg!

Warum kapiert das eigentlich keiner?!

Wir brauchen Kontrastprogramm zum Durchatmen und zur Ruhe kommen. Wir fahren zum Parc Floral de la Colline aux oiseaux, einer wunderschönen großen Gartenanlage, in der es viel zu entdecken gibt. Die Bilder zeigen es und mehr brauche ich dazu auch nicht zu sagen. 😉

Der Park ist weitläufig und bietet viele Ecken zum Entspannen und Spielen. Wir finden den Rosenpark am schönsten und bleiben eine Weile, um unseren Gedanken nachzuhängen.

Unser Urlaub, der vielmehr eine Reise war, neigt sich dem Ende entgegen. Wir verbringen die nächsten Tage mit Abschiednehmen von Strand und Sonnenuntergängen, von türkisfarbenem Meer und lichter grüner Landschaft, von Monumentalbauten und kleinen Gassen, von Kunst und Kultur, von Cidre und Calvados, von frischem Wind und natürlich von unseren wunderbaren Nachbarin Nadja.

Ein Teil meines Herzens ist dort geblieben und ich bin dankbar. Ich finde, jeder Mensch sollte auf der Welt einen Ort finden, an dem er sich so wohlfühlt, dass die Seele Flügel bekommt. Ich habe ihn in der Normandie gefunden und danke Euch allen, die Ihr mit mir zumindest lesebereit auf diese Reise gegangen seid.

Au Revoir Normandie et au plaisir des vous revoir trés bientôt!


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Halbwahrheiten

Die Halbwahrheit ist eine zweifelhafte Begleiterin der Lüge,

verschwiegen halbseiden

beliebig wechselhaft

undurchschaubar

und ein gefährlicher Gegner,

weil sie das Vertrauen in die Wahrheit erschüttert

und damit Unfrieden schürt,

weil das Körnchen Wahrheit, das in ihr steckt,

mehr Unheil anrichtet als die reine Lüge,

die durch die reine Wahrheit enttarnt werden kann.

(Tanja Fründ)


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Frankreich – Honfleur

Draußen nieselt es und die ersten Überlegungen für den Jahresurlaub lassen mich noch einmal in Gedanken zu unserer Frankreichreise zurückkehren. Es ist eine Gelegenheit, den über den Jahreswechsel verlorenen Faden wieder aufzunehmen und noch einmal zwei beeindruckende Stationen unserer Reise zu schildern, die ich als absolutes Muss für einen Urlaub in der Normandie betrachten möchte.

Ausflug nach Honfleur

Gut 1 1/2 Stunden entfernt von Caen liegt Honfleur, eine wirklich pittoreske kleine Stadt an der Seine-Mündung unweit der Pont de Normandie. Das Wetter ist leider an diesem Tag etwas grau in grau, was man an den Fotos auch sehen wird. Ein blauer Himmel wäre wohl das I-Tüpfelchen an diesem Reisetag gewesen. Nichtsdestotrotz erwartet uns eine der schönsten kleinen Hafenstädte, die die französische Ärmelkanalküste zu bieten hat.

Zunächst etwas unschlüssig machen wir uns auf den Weg Richtung Hafen. Denn der Hafen von Honfleur wurde uns als besonders schön beschrieben und das ist er auch. Gleich am Hafeneingang erwartet uns ein großes nostalgisches Karussell.

Es stammt aus dem Jahr 1900 und wird seit 1995 dort jedes Jahr aufgestellt. Während man die Kleinen (oder die großen Kinder 😉 ) eine Runde fahren lässt, bietet es sich an, eine der Bänke zu benutzen und den Blick über das Hafengelände schweifen zu lassen.

Hohe Häuser in verschiedenen Farben, schmal und jedes ein Unikat für sich, rahmen den Hafen ein, in dessen Becken kleine Segelboote vor sich hin schaukeln. Cafés und Restautrant wechseln sich eng an eng ab und für jeden kulinarsichen Geschmack oder auch nur für eine Tasse Kaffee ist etwas dabei. Geschäftig und entspannt zugleich ist die Atmosphäre, wenn man sich niederlässt. Es lohnt sich, den Hafen einmal zu umrunden, bevor man sich auf den Weg in die kleinen Gassen und Straßen macht, die einen schönen Laden und eine schöne Galerie nach der anderen bieten.

Man sollte sich dazu ruhig Zeit lassen. Es gibt so viel Schönes zu erblicken, welches das Ansehen verdient.

Malerische Hinterhöfe mit Kunstgalerien, spitze Türmchen, Fachwerk, fein ziselierte Sandsteinkunstwerke an Kirchen, enge Gassen, Geschäfte mit Schokolade, Parfum, Malerei, Bildhauerei, hochwertiger einzigartiger Schmuck und zum Glück (fast) überhaupt keine Souvenirläden. Letzteres fand ich unglaublich wohltuend. Es geht hinauf und hinunter. Wir staunen und bewundern, lächeln und schlendern. Honfleur kann man eigentlich nicht beschreiben. Das Beste ist: Man fährt einfach hin.

Und natürlich, nahezu unvermeidlich treffen wir wieder auf einzigartige Kirchenbauten, deren Mittelpunkt in Honfleur aber tatsächlich eine Besonderheit ist. Es handelt sich um eine große zweischiffige Holzkirche, die Église Sainte-Catherine, die von außen her eher wie eine Markthalle aussieht. Überhaupt lässt sie alles vermissen, was man in einer Kirche grundsätzlich erwarten würde. Wir lassen uns wie immer eine Weile nieder und haben den Eindruck, dass es sich hierbei um eine Kirche handelt, die dem gemeinen Volk näher ist als jeder sakrale Bau, den wir bisher auf unserer Reise gesehen haben. Einerseits gemütlich, andererseits auch dunkel, ein wenig unheimlich in manchen Ecken. Beim leisen Gehen entlang der Bankreihen finde ich mich auf einmal unter einem Bild wieder, das mir die Kreuzigungsszene aus einer bedrohlichen Perspektive zeigt. Es ist ein Gemälde, das mich direkt unter das Kreuz treten lässt. Der Gekreuzigte blickt leidend direkt auf mich herunter – es gruselt mich und gibt mir eine realistische Einschätzung von der Grausamkeit dieser Todesstrafe. Vielleicht hängt es deshalb auch an einer Stelle, an der man nicht so ohne weiteres vorbeigeht – wirklich touristentauglich ist es nicht – eher erschütternd. Und es sorgt dafür, dass ich bei aller Eindrücklichkeit kein Foto davon machen kann. Es ist mir persönlich zu nahe getreten.

Eine Besonderheit ist, dass der Turm der Kirche, der die Gläubigen zum Gottesdienst rufen soll, separat gebaut wurde, damit im Falle eines Feuers durch Blitzeinschlag nicht gleich alles vernichtet wird. Wie man sehen kann, wirkt der Bau von außen tatsächlich nicht sonderlich spektakulär, was dem Eindruck im Inneren komplett widerspricht.

In diesem Kirchenraum geht es nicht um die Selbstverwirklichung eines großen Herrschers, das spürt man gleich. Hier finden sich die einfachen Leute, die Seefahrer und Bauern wieder, sowohl in der Ausgestaltung der Altarräume als auch in den vielen kleinen Statuen und Figuren, die wie in einem Wohnzimmer Behaglichkeit, Wärme und Schutz ausstrahlen.

Nach der Verschnaufspause auf den Kirchenstühlen laufen wir weiter durch die kleine Stadt und finden Wein, Käse und andere Köstlichkeiten, die wir für unsere Lieben (auch uns selbst) mit nach Hause nehmen wollen. Ein Laden mit Fässern voll Süßigkeiten hat es einem Familienmitglied besonders angetan.

Der Weg zurück führt uns noch einmal am Hafenbecken entlang, von wo aus wir unsere Heimfahrt nach Bernieres-sur-Mer antreten. Diesmal nehmen wir nicht die Autobahn, sondern fahren hügelauf und hügelab in meist engen Kurven durch eine wunderschöne grüne, landwirtschaftlich geprägte Gegend vorbei an den bekannten Seebädern Deauville und Trouville – doch die müssen auf einen anderen Besuch verschoben werden. So lassen wir die Wegweiser links liegen und genießen die Erinnerung an eine der niedlichsten und schönsten kleinen Hafenstädte in der Normandie – Honfleur!


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10. Tag – Weiterfahrt von Arromanches nach Bayeux

Bayeux ist das absolute Kontrastprogramm zu Arromanches. Der Frieden und die Jetzt-Zeit haben uns wieder. Unser Navi versagt ein wenig in den engen Straßen. Wir steuern wagemutig auf das Zentrum zu und parken an der erstmöglichen Stelle. Wieder haben wir Glück. Der Parkplatz liegt perfekt, kostet mäßig und schwupp sind wir schon in der Altstadt.

Die Altstadt von Bayeux ist wunderschön, prunkvoll, mittelalterlich und verwinkelt. Wieder genießen wir die schönen Gebäude, das aufwendige Fachwerk und besichtigen als erstes natürlich wieder einmal eine der herrlichen Kathedralen, die dieser Landstrich zu bieten hat.

Ich bin ein ausgemachter Kirchenfan. Diese Orte faszinieren mich jedes Mal wieder aufs Neue. Dabei ist es fast egal, ob sie groß oder klein sind. Vielleicht liegt es an der Zentriertheit oder in ihrer Besinnung auf etwas Höheres, das über unserem Leben steht. Schon immer haben es mir dabei ihre schlichteren Vertreter angetan. Ich liebe die gleichmäßigen Linien und Geometrien der gotischen und romanischen Zeit. Blattgold liegt mir nicht so sehr. Wer Prunk und Pracht braucht, muss nach Bayern und Österreich fahren, nach Italien und Spanien. Diese feine und gradlinige Art, die sich auch in ihrer Größe auf das Wesentliche besinnt, findet man in der Normandie besser.

Die Kathedrale ist bestuhlt. Das stört mich. Ich könnte die Erhabenheit des Raums viel besser genießen, wenn ich nur den Boden sehen und in weiter Ferne den Altarraum betrachten könnte. Wie immer setzen wir uns und lassen den Raum auf uns wirken.

Nach Abschreiten der Nebenkapellen finde ich eine kleine Nische mit dem Heiligen Christopherus. Als Protestantin glaube ich nicht wirklich an die Hilfe der Heiligen, dennoch zünde ich eine Kerze für uns an und bitte in Gedanken kurz um Segen für diese Reise. Es ist dieses kurze Innehalten, das mich im Urlaub immer wieder in eine Kirche treibt. Hier kann ich abschalten von den Eindrücken. Die Schönheit der Architektur tut ihr Übriges. Auch die Vorstellung, dass schon vor über 900 Jahren Menschen hier das Zentrum ihres Menschseins erlebt haben, fasziniert mich. Dabei will ich nicht aus den Augen verlieren, welche Opfer Menschen für dieses Gebäude bringen mussten und wie drakonisch, mächtig und scheinheilig die Kirche seit Jahrhunderten ihre Schäfchen ausnimmt. Wie über die Leben, die viele auf diesen Baustellen lassen mussten, möchte ich in diesem Moment aber auch darüber nachdenken, wieviel Geld in den Erhalt dieser Bausubstanz fließt, welches die Stadt sicher an sozialer Stelle genauso gut einbringen könnte. Wie alles hat auch dieses seine zwei Seiten. Wie viele andere bin ich gespalten in Bezug auf die Rolle, die Kirche und Glaube in unserer Gesellschaft noch spielen. Ich wünsche mir, dass jenseits von Geld und Kultur, die Amtskirche wieder mehr ihren Fokus auf die Menschen legt, denen sie dienen soll. Dass sie einen Raum der Ehrlichkeit und der Zuflucht bietet und nicht einen Raum der Macht und des Missbrauchs.

Über den großen Platz an der Kathedrale entlang laufen wir weiter in die Altstadt hinein. Auch inspiriert durch das Buch von Rebecca Gable „Das zweite Königreich“ möchte ich nun endlich den sagenumwobenen Wandteppich von Bayeux sehen, der die Eroberungsgeschichte Englands durch William den Eroberer darstellt. In Auftrag gegeben wurde er sehr wahrscheinlich vor fast 1000 Jahren von dem Bischoff von Bayeux namens Odo, der ein Halbbruder von William war. Einmal im Jahr soll der Teppich zu Ehren Williams als Machdemonstration vor dem gemeinen Volk ausgerollt und ausgehängt worden sein, bevor er wieder sorgsam verwahrt wurde. Ich bin einerseits beeindruckt von der Länge und den Stickereien andererseits auch vom ausgesprochen perfekten Erhalt. Dies bringt mich zu der Frage, wie man es hinbekommt, über fast 1000 Jahre ein Textilgewebe in diesem Zustand zu erhalten, gegen alle Zerstörung und Kriege zu bewahren und dann auch noch wiederzufinden.

https://de.normandie-tourisme.fr/teppich-von-bayeux/

Die Besichtigung des Teppichs geht massentauglich vonstatten. Auf keinen Fall fotografieren! Einen Audioguide mit Quäkstimme im Ohr machen wir uns auf die Reise in die Geschichte der folgenreichen Eroberung Englands durch Wilhelm Herzog der Normandie, genannt auch William the Conqueror. Immerhin dürfen wir selbstständig gehen und müssen nicht wie im Tower von London ein Laufband besteigen, das uns innerhalb von zehn Sekunden an den Kronjuwelen vorbeifährt.

Die Besichtigung des Teppichs nimmt ca eine halbe Stunde in Anspruch. Textilkenner werden ihn zu schätzen wissen. Wir freuen uns hinterher auch, dass wir ein Stück echte Geschichte gesehen haben und lesen später, dass der Teppich eigentlich nach England ausgeliehen werden sollte, dies aber nicht stattfinden kann, weil das tausend Jahre alte Gewebe, den Transport über den Ärmelkanal nicht unbeschadet überstehen würde. Da haben wir quasi Glück gehabt. Das um den Teppich herum entstandene Museum ist ebenfalls sehenswert und ein lohnenswertes Ziel für einen ersten Besuch in Bayeux. Die Geschichte des Teppichs kann man hier nachlesen.

Doch Bayeux hat noch mehr zu bieten als Kirchen, Geschichte und Gebäude. In einem schönen Restaurant in der Nähe des Teppichmuseums bekommen wir einen Platz in einer alten Mühle, wo wir ausgesprochen gute Galettes bestellen und genießen können.

Unsere Rückfahrt geht über Land viele Hügel herauf und wieder herunter an schmucken Bauernhöfen und kleineren und größeren Schlössern vorbei, die man mittlerweile für mehr oder weniger Geld kaufen kann. 1.305.000,00 Euro erscheint uns fast wie ein Schnäppchen. 😉

Natürlich endet auch dieser Tag abends am Meer. Zu schön sind hier die Sonnenuntergänge!!!!!


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10. Tag – Arromanches und Bayeux

Jetzt geht es wirklich los mit der deutschen Geschichte. Wir wagen uns an das dunkle Kapitel und fahren nach Arromanches, wo die Alliierten 1944 ein großes künstliches betoniertes Hafenbecken angelegt haben, um den Nachschub für ihre Streitkräfte zu sichern. Oberhalb des Ortes liegt ein Freiluftmuseum, das einen Blick über die ganze Bucht und Arromanches selbst bietet. Es ist Flut. So können wir die Betonwände des Hafens nur erahnen. Bei Ebbe kann man in den alten Hafen zu Fuß über’s Watt hineinwandern.  Es weht ein frischer Wind und Salz liegt in der Luft.

Am Rand wachsen Blumen und wenn man einen Ausschnitt mit der Kamera günstig auswählt, könnte es ein pittoresker Ort wie so viele andere an der Küste sein. Doch nur an wenigen Stellen wird einem erlaubt, sich der eigentlichten Bedeutung des Ortes zu entziehen. Das Freiluftmuseum zum Gedenken an die hier grausam ausgefochtene Schlacht zwischen Alliierten und Deutschen durchbricht die Idylle – es verbietet sich irgendwie hier die Kamera zu zücken, will doch das Gefühl nicht weichen, auf einem unsichtbaren Friedhof zu stehen.

Wir blicken über den Ort Arromanches hinüber zum Pointe du Hoc, wo die erbittertsten Kämpfe von Deutschen und Alliierten stattgefunden haben. Es macht mich ein wenig betroffen und schwindelig, dieses Areal zu überblicken und mir vorzustellen, wieviel Leid vor vielen Jahrzehnten hier passiert ist.

Wir lesen uns diesmal aufmerksam die Texte durch, die am Wegesrand unter entsprechenden Bildern stehen, und gehen vorbei an Soldatenstatuen aus Metall, die mit dem Gewehr auf uns zu zielen scheinen. Viele dieser Metallstatuen sind gebrochen dargestellt und durchlöchert. Das ist Kunst, die meine Seele trifft und etwas ganz Anderes, als die Gemälde im Museum der Schönen Künste in Caen. Hier wird plastisch, was im Geschichtsunterricht mit 16  Jahren manchmal nur bruchstückhaft an mir vorbeigezogen ist. Dennoch finde ich es gerade jetzt wichtig, dass auch unsere Kinder neben der atemberaubenden Natur und Schönheit der Gegend auch etwas erfahren von den Ereignissen, die hier stattgefunden haben. Es macht mich dankbar, dass wir schon seit so vielen Jahrzehnten einen Frieden in Europa bewahren konnten, der es uns möglich macht, frei an diesem Ort zu stehen. Wäre ich vor 100 Jahren geboren worden, hätte ich diesen Ort vielleicht niemals kennengelernt. Vielleicht hätte ich hier meinen Mann oder meinen Sohn verloren.

Es geht steil bergab Richtung Arromanches, einem kleinen Ort, der die Weltkriegsvergangenheit hütet wie einen Diamanten. Und wieder wird der Widerspruch zwischen Urlaubsgegend und Krieg spürbar. Was mich allerdings massiv stört, ist der Verkauf von „Kriegsspielzeug und Kriegsverkleidung“, welche mir in den Shops begegnen. Uniformen, Modellbaupanzer, Tarnfarben-T-Shirts und Tarnkäppis, Bücher über Panzer und Flugzeuge, Abwehrmaschinen, Stiefel und Marschgepäck, Rucksäcke und vieles mehr werden angeboten direkt gegenüber einen großen Neubaukomplex, in den einmal ein Kriegsmuseum einziehen wird. Komm, wir spielen Krieg?

Auf dem Weg hinunter zum Ort steht ein Panzer, in dessen Vordergrund ein begeisterter ungefähr achtjähriger Junge von seinen Eltern fotografisch festgehalten wird. Begeisterung für Panzer? Ich bin ratlos. Sind wir schon wieder so weit, dass wir den Krieg mit einem so naiven und gleichzeitig sensationslüsternen Auge betrachten?

Die Shops und Cafés sind sehr auf englische Besucher eingestellt. Hier im Ort kann man ein anderes Kapitel des Kriegsgeschehens nachfühlen: Siegeswillen und Heldenverehrung scheinen hier im Mittelpunkt zu stehen. Während im Freiluftmuseum oberhalb der Stadt noch ein recht ausgewogenes Bild der Ereignisse präsentiert wird, sieht es im Ort schon anders aus. Hier überwiegen die alliierten Helden und die bösen endlich besiegten Deutschen in üblicher Schwarz-Weiß-Manier. Die Retter der Welt besiegten den Feind.  Wie differenziert man die Weltkriegsgeschichte und auch die französische Anbiederung des damaligen Vichy-Regimes anderseits betrachten kann, erfahren wir am übernächsten Tag, als wir das Memorial in Caen besuchen.

Wir thematisieren es vor den Kindern erstmal nicht weiter. Für heute ist es genug mit Krieg. Daher besichtigen wir auch keinen Soldatenfriedhof mehr und treten nach einem kleinen Imbiss unsere Weiterfahrt nach Bayeux an.


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9. Tag – Wir bekommen Besuch

Wir sind froh, vor Jahren in einer befreundeten Familie die totalen Frankreichliebhaber gefunden zu haben. Sie werden uns besuchen und wir werden die nächsten Tage mit ihnen verbringen Sie nehmen uns mit in ihre Normandie. Ein bißchen Reiseführung wird uns guttun.  Es gibt so viel zu entdecken, das ist uns mittlerweile klar geworden. Die Region ist so einzigartig in ihrer Vielfalt, dass wir nicht mehr wissen, wohin unser nächster Ausflug gehen soll. Die Auswahl fällt schwer.

Sollen wir einen Abstecher in die normannische Schweiz machen? An einem pittoresken Fluss ein Paddelboot mieten und unter einem Aquädukt durchfahren? Oder bleiben wir an der Küste? Fahren wir vielleicht noch einmal 2 Stunden bis zum Eingang der Bretagne nach Cancale? Wir lesen und lesen, d. h. ich lese französische Internetseiten, französische Reiseführer.  Mittlerweile haben wir die Hälfte unserer Urlaubszeit hinter uns und planen die nächste Woche

Mein Internet ist mittlerweile auf Französisch gewechselt. Mein Denken fängt an, französische Wörter und Sätze zu bilden. Es macht mir Freude, mich verständigen zu können, wobei ich leider gestehen muss: Die Franzosen verstehen mich, ich sie aber oft nicht. Ob es am nordfranzösischen Dialekt liegt, dem berühmten Ch’ti Dialekt? Ich weiß es nicht. Trotzdem habe ich ein gutes Gefühl, wenn ich die Menschen um mich herum französisch sprechen höre.

Unser Ferienhaus liegt in einer Wohnsiedlung, in der nur wenige Urlauber gibt. Wenn wir abends auf der Terrasse sitzen, bekommen wir Gespräche mit, die wir nicht verstehen, aber das Lachen und der freundliche Singsang der französischen Laute entspannt mich. Nicht jede Sprache hört sich für einen Außenstehenden freundlich an. Ich liege im Liegestuhl, schaue in den blauen Himmel und lasse den Blick über die Dächer der Nachbarhäuser schweifen. Die Freundin unserer Tochter fasst es in einem Satz treffend zusammen: “Französisch hört sich im Gegensatz zum Deutschen für Fremde schön und freundlich an. Da fühlt man sich nicht gleich so angebrüllt.“

Oft schon habe ich mir Gedanken gemacht, wie unsere Sprache auf Außenstehende wirkt. Man hört sich ja eher selten selbst zu. 😉 Aber beim genaueren Hinhören muss ich schon sagen, wir haben wirklich viele, harte Laute in unserer Sprache. Und dass wir gleichzeitig das Land der Dichter und Denker sind, die so viele wunderbare Geschichten, Gedichte und Lieder hervorgebracht haben, scheint mir fast eine Ironie des Schicksals zu sein. Die deutsche Sprache ist sehr variantenreich und gut in der Lage, Stimmungen zu beschreiben und Gefühle auszulösen. Dass das in unserem Duktus nach außen nicht fühlbar wird, finde ich ein wenig ungerecht. 😉

In unserem Haus ist das Internet gut. Auf den Dächern der Nachbarhäuser sehe ich Antennen, wie ich sie aus den siebziger Jahren noch kenne. Auch die meisten Stromleitungen verlaufen oberirdisch und spannen sich teilweise von Haus zu Haus in interessanten Knoten. Es macht einen beschaulichen Eindruck, als ob die Zeit stehengeblieben ist. Überhaupt sind wir in einer ruhigen unaufgeregten Gegend gelandet. Ob es an der Vorsaison liegt? Nicht nur; Nadia, unsere Nachbarin, wird uns später genau das bestätigen. Die Normandie ist unaufgeregt und stetig. Natürlich gibt es auch dort sicher Streit und Schwierigkeiten, aber die Gesamtatmosphäre ist höflich, herzlich und Vertrauen erweckend. Ab und zu besucht uns Nachbars Katze, die uns aber wohl eher als Ungebetene betrachtet, zumindest wenn man ihren Gesichtsausdruck dahingehend deuten möchte. Ansonsten haben wir als Deutsche entgegen allen Vorurteilen nichts zu befürchten. Deutschfeindlichkeit ist passé – nur einmal zieht jemand die Augenbrauen hoch. Dazu später mehr, wenn ich über das Memorial in Caen erzähle.

Die nächsten Tage werden im Gegensatz zu unserer gefühlten Beschaulichkeit die Krawalle in den Vororten von Paris und anderen großen Städten noch beschäftigen. Es gibt Warnungen für Einheimische und Touristen, die Städte zu meiden, Menschenansammlungen aus dem Weg zu gehen und keine öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen. Der öffentliche Nahverkehr wird in den Risikozonen eingestellt. Kurz haben wir überlegt, das nur 2 Stunden entfernte Schloss Versailles zu besuchen. Diese Entscheidung wird uns traurigerweise von den Randalierern abgenommen.

So verfolgen wir zwar die Nachrichten und tun aber ansonsten das, was uns guttut: Strandspaziergang, Nase in den Wind halten und Sonnenuntergänge und Muscheln fotografieren.

Abends sind wir in Lion-sur-Mer mit unseren Freunden verabredet auf eine Pizza und gehen auch dort an einem kleinen Strandabschnitt Muscheln, Meeresgetier und sogar ein paar Versteinerungen entdecken.

Lion-sur-Mer ist ein kleiner hübscher Ort, dessen Strandpromenade vor der Saison noch ein wenig „restauriert“ wird. Beim Bummeln dort entdecken wir viele kleine Häuser direkt an der Promenade, wo fleißig gebaut wird. Einige sind schon fertig und erstrahlen in neuem Glanz. Es ist dieses unfertige und unperfekte, was meine Phantasie anregt. Es atmet noch Geschichte und wird am Ende aber einfach schön aussehen.

Jeder Urlaubsanspruch kann an der normannischen Küste übrigens befriedigt werden. Wer es lieber mondän und schick mag, ist in Deauville und Trouville an der Cote Fleurie gut aufgehoben. Wer die wilde Natur genießen will, fährt nach Fecamp und an die hohe Steilküste Etretat. Wer wie wir geschichtlich interessiert ist, nimmt den Widerspruch zwischen Erholung und Kriegsgeschichte an den breiten Landungsstränden in Kauf.  Dieser Geschichte und der Geschichte von Wilhelm dem Eroberer spüren wir in den nächsten Tagen nach.

Wir besuchen Arromanches und Bayeux, genießen Galettes und sehen uns den berühmtesten Teppich der Region an, der so wie der Mont St. Michel fast 1000 Jahre alt ist.


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8. Tag Caen – Fortsetzung

Wir warten nicht, bis die Fashion-Show losgeht und machen uns wieder auf die Wanderung zur nächsten Sehenswürdigkeit. Das dauert ein wenig, denn die Riesenbaustelle Schloss ist denkbar schlecht ausgeschildert. Plötzlich finden wir uns ziemlich weit oben auf der Burgmauer wieder, von wo aus wir einen atemberaubenden Blick über die Stadt haben und unseren nächste Sehenswürdigkeit zumindest schon einmal aus der Ferne betrachten können: Die „Abbeye aux hommes“ , die Abteikirche, die Wilhelm seiner Stadt Caen gestiftet hat. Dort befindet sich übrigens auch sein Grab. Man weiß allerdings nicht, ob er oder zumindest ein Teil von ihm überhaupt noch dort liegt.

Auf dem Weg zu seiner Kirche durchqueren wir noch einmal das ganze Burggelände und laufen dann über einen schönen Platz mit vielen netten Cafés und Restaurants und beeindruckenden Bauten, bis wir endlich endlich (meine Füße gehören mir schon lange nicht mehr, sie laufen einfach vor sich hin) die Abbeye aux Hommes erreichen.

Es ist eine beeindruckende Kathedrale, die gut gepflegt und Instand gehalten wird. Ich liebe es, wenn in Kirchen nicht viel Publikum ist. Wie immer halten wir uns nicht mit touristischen oder geschichtlichen Führungen auf. Wir genießen das Bauwerk auf unsere Weise und wandern ein bißchen auf Williams Spuren.

Hier ruht auch Wilhelm, der Eroberer, oder zumindest das, was von ihm noch übrig. Man kann lesen, dass seine Gebeine mehrere Reisen angetreten haben, bis sie in der Kathedrale „Abbeye aux hommes“ endlich ihre letzte Ruhestätte fanden. Immerhin ist es ein schöner Ort, um ihm zu gedenken und wie auf der Tafel vor dem Grab geschildert, lebt so ein Mann in der Erinnerung der Menschen vor allem auch durch den Mythos, den er um sich verbreitet hat. Und in Szene zu setzen wusste sich William auf jeden Fall. Dies werden wir noch sehen, wenn wir den berühmten Teppich von Bayeux besichtigen.

Die Beerdigung des großen Königs gestaltet sich morbide unappetitlich. Wer des Englischen mächtig ist, möge es hier nachlesen. Ich mag es nicht ins Deutsche übersetzen. 😉

Wir gehen nach einer Weile zum Hinterausgang hinaus zu einem schön bepflanzten Platz, an dem wir auf einer Bank unsere Beine von uns strecken und den Blick schweifen lassen.

Eine große Statur aus Metall (dargestellt ist ein sehr pures feines Gesicht) steht mitten auf dem Platz und zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. Ein Meisterstück der optischen Täuschung haben wir da gefunden. Wenn man sie umrundet, gewinnt sie an Tiefe und egal, wie weit man herumgeht: Ihr Gesicht und ihre Augen folgen einem. Ein par Mal gehen wir um die Skulptur herum und lassen ihren Effekt auf uns wirken. Wir kommen nicht dahinter, wie man so einen schönen Anblick herstellt und freuen uns wie kleine Kinder, die einer Seifenblasse hinterherschauen.

Auch hier trifft man oft auf Gebäude, die nach dem zweiten Weltkrieg nicht wieder aufgebaut wurden. Caen wurde damals stark zerstört. Für Fotografen sind Ruinen häufig sehr interessant, denn die Bilder erzählen Geschichten vom Leben und regen die Phantasie an.

Wieder wird mir bewusst, wie schön es ist, sich durch eine fremde Stadt treiben zu lassen und Dinge zu entdecken, die man in einem Reiseführer nie findet oder auf die man zufällig trifft und die einem darum umso mehr im Gedächtnis bleiben. Die Faszination, eine Region wirklich zu entdecken und nicht nur planmäßig einen Ort nach dem anderen abzuarbeiten, macht diese  Reise erst zu dem Erlebnis, das wir uns gewünscht haben.

So langsam ist es genug, denken wir, doch da stellt sich endlich die Sonne ein und wie von Zauberhand verfliegt innerhalb weniger Minuten die feuchte Luft. Seele und Lungenflügel atmen auf und wir gehen langsam zurück durch die Fußgängerzone, wo wir noch den ein oder anderen schönen Laden besuchen. Fazit: Caen – unbedingt sehenswert. Wir sind in diesem Urlaub nicht zum letzten Mal dort!